Weniger ist mehr: Zweifach sinnvoll Ausmisten

„Das darf jetzt aber nicht wahr sein!“ fluche ich, als ich mir in den tiefen unseres Abstellraums an einer hässlichen alten Hantel den großen Zeh stoße. Wir hatten doch schon vor Jahren ausgemacht, dass die wegkommt. „J.!!!“ schreie ich erbost durch die Wohnung, bis ich im Augenwinkel etwas entdecke. Meinen alten Tennisschläger. Und gleich daneben meine Eislaufschuhe, aus denen ich schon vor Jahrzehnten rausgewachsen bin. Huch, das wollte ich doch eigentlich schon längst ausmustern. Was ging denn da bloß schief?

Fest entschlossen ergreife ich die beiden Teile. Bis mir plötzlich wieder wirklich guten Gründe einfallen, warum ich sie doch noch behalten sollte. Ich stelle sie gleichermaßen unentschlossen wie unzufrieden wieder ab. Da fällt mein Blick auf eine alte Kiste, aus der mein zerfleddertes Italienischbuch lugt und mich beschleicht da so ein komisches Gefühl, dass das nur die Spitze des Eisbergs ist.

Konsequent mache ich die Türe zum Abstellraum wieder zu. Aus den Augen, aus dem Sinn, denk ich mir und strebe in die entgegengesetzte Richtung der Wohnung. Bis mir beim Weg durch die Zimmer plötzlich überall Sachen auffallen, die ich eigentlich gar nicht mehr wirklich brauche. Allerdings verhalten sie sich extrem widerspenstig, wenn ich sie ergreifen und unsere Beziehung beenden will. Als ich schließlich eine kaputte Vase, die mir noch nicht einmal besonders gut gefällt, wieder zurück ins Regal schiebe, wird mir klar: Ich muss das definitiv professioneller angehen!

Ein paar Tage später liegt Marie Kondos „Magic Cleaning“ vor mir auf dem Tisch. Schnell merke ich, was bisher mein größter Fehler bei solchen Aktionen war: Ich habe einfach immer die falschen Fragen gestellt! Nicht: Kann ich das vielleicht, irgendwann, möglicherweise, unter gewissen Umständen, eventuell, im Falle einer Zombie-Apokalypse noch brauchen? Sondern schlicht: Macht es mich glücklich?

Gleich nachdem ich die Frage anhand von Badutensilien von der Theorie in die Praxis transferiert habe, stelle ich fest: Erstaunlich wenig von dem ganzen Zeug macht mich tatsächlich glücklich! Und die Entscheidung für oder gegen das Behalten fällt plötzlich kinderleicht. Ratzfatz hab ich meine Nagellacke um zwei Drittel reduziert, das Sammelsurium an Beuteln dezimiert und mich schließlich noch der Hälfte meiner Handtaschen entledigt. Die verbliebenen Exemplare liegen nun schön sortiert in ihren ganz persönlichen Behausungen.

Von den ersten Ergebnissen bin ich so begeistert, dass ich ständig Laden auf und zu machen muss, um mein Werk zu bestaunen: Rrrrtsch, Lade auf, seliger Blick, rrrtsch, Lade zu. Rrrtsch, Lade auf, seliger Blick, rrrtsch, Lade zu. Rrrrtsch… „Was machst du da?“, steht J. plötzlich neben mir im Zimmer und runzelt die Stirn. „Nichts. Nichts-nichts. Die Lade hat, äh… nur geklemmt“, sag ich und geb der Lade mit dem Fuß einen Stoß. Den Schmerz, den die noch immer beleidigte große Zehe dabei von sich gibt, schlucke ich tapfer hinunter. „Funktioniert schon wieder!“

Ganz lässt es sich dann aber nicht verbergen, dass ich mich hier des halben Hausrats entledige und irgendwann wird J. misstrauisch. Nachdem ich ihm das Prinzip erklärt habe und er den Haufen an zu entsorgenden Gegenständen sieht, hab ich das Gefühl, ihm wird etwas Angst und Bange. „Keine Sorge“, sag ich schnell und bemühe mich um einen möglichst sanften Tonfall, der auch bei den Katzen zum Einsatz kommt, wenn eine Fahrt mit dem Auto ansteht. „Deine Sachen sind natürlich Tabu!“

Dass er das nicht meinem super korrekten Verhalten sondern Marie Kondos strengen Vorgaben zu verdanken hat, erwähne ich jetzt mal nicht. Denn, so schwer es mir auch fällt: Es darf nichts von den Dingen angerührt werden, die jemand anderem gehören. Man darf bloß als gutes Vorbild dienen. Schade, denk ich mir insgeheim. Im Geiste hab ich mir schon ausgemalt, wie ich die Hanteln in den Tiefen der Restmülltonne versenke.

So groß die anfängliche Enttäuschung darüber auch ist, umso begeisterter nehme ich kurz darauf zwei Dinge wahr: Das mit dem Vorbild, das funktioniert! Ohne jegliches Zutun präsentiert mir J. zwei Tage später sein neu geordnetes, und immerhin um zwei Paar dezimiertes, Schuhregal. Ich bin baff. Die noch bessere Entdeckung mache ich allerdings, als ich wenig später an einem Berg von ungelesenen Magazinen vorbeilaufe, bei dessen Passieren es mir jedes Mal die Nackenhaare aufstellt. Nichts. Keine einzige negative Regung.

Je mehr die Ordnung unter meinen Dingen zunimmt, desto weniger scheinen mich fremde Unruhepole zu stören, stelle ich fasziniert fest. Und überhaupt merke ich, dass das Aussortieren meiner Gegenstände tatsächlich auch den Geist zu klären scheint und es sich wirklich wahnsinnig gut anfühlt, weniger Dinge zu haben.

Bleibt am Ende dann nur noch eine Frage: Was bloß tun mit dem ganzen Zeug, das zwar in den eigenen vier Wänden nicht mehr willkommen ist, aber eigentlich auch viel zu schade, um es wegzuwerfen? Marie Kondos Rat, die aussortierten Dinge lieber keiner nahestehenden Person zu zeigen, damit sie nicht auf Umwegen wieder zurück in den Haushalt finden, kommt für mich und drei alte Tupperdosen leider zu spät. Noch bevor ich die Gelegenheit habe, den künftigen Verbleib zu klären, klaubt J. fröhlich die kleinen Plastiktegelchen aus meiner Ansammlung und bugsiert sie in seinen Kasten. Ich gönne ihm die Beute, bringe den Rest jetzt aber mal trotzdem lieber außer Sichtweite. So lange, bis ich weiß, wohin damit.

Das Wohin liefert glücklicherweise kurz darauf der tolle Tipp einer Nachbarin: In den Vinzi-Shop. Dort werden Sachspenden verkauft, deren Erlöse einem guten Zweck zugutekommen, wie ich erfahre. Ein perfekteres zweites Leben für meine Sachen kann ich mir gar nicht vorstellen. Jetzt fühlt sich das Ausmisten gleich doppelt gut an.

Und die Hanteln? Die dürfen übrigens bleiben. J. hat mir glaubhaft versichert, dass sie ihn noch immer glücklich machen, auch wenn er sie so selten benutzt. Außerdem haben Eislaufschuhe und alter Tennisschläger ihnen dankenswerter Weise Platz gemacht, sodass unser Abstellraum mittlerweile von der Zehen-Gefahrenzone zum sicheren Zehen-Gebiet erklärt werden konnte 😉

Auf einen Blick:

„Magic Cleaning“ von Marie Kondo: Ich fand den Ansatz von Marie Kondo sehr erfrischend und konnte mit ihrer Herangehensweise wirklich viel anfangen. Das Buch liest sich zudem sehr leicht und unterhaltsam. Ich würde es jedem empfehlen, der auch gerne Ordnung schaffen bzw. entrümpeln möchte, jedoch Schwierigkeiten hat, sich von Dingen zu trennen, und der mit bisherigen Strategien nicht weiter gekommen ist.

Vinzi-Shop: Eine wirklich tolle Möglichkeit, alten aber noch brauchbaren Sachen einen neuen Sinn zu geben. Die Sachspenden werden verkauft und deren Erlöse kommen den Einrichtungen der Vinzi-Gemeinschaft Eggenberg zugute. Neben Gewand werden zum Beispiel auch Geschirr oder Dekoartikel angenommen. Eine Übersicht darüber, was man abgeben kann bzw. was nicht, sowie nähere Infos findet man unter www.vinzi.at/de/vinzishop-wien/

Mülltrennhilfe: Bei manchen Dingen ist zwar klar, dass kein Weg am Müll vorbeiführt, was allerdings oft weniger klar ist, wie man die Dinge eigentlich korrekt entsorgt. Eine gute Übersicht, was wohin gehört gibt’s zum Beispiel auf der Website der Stadt Wien: www.wien.gv.at/umwelt/ma48/beratung/muelltrennung/mistabc.html